Bizarr im Basar
Nouran Salahs Entscheidung, als Frau in Kairo Rad zu fahren, erregte viel Aufsehen. Im Laufe der Zeit hat sie außerdem die Sicht auf die Dinge verändert.
Nouran Salah hat viel bewegt.
Im Laufe der Jahre wurde nicht nur in Nachrichtensendungen über sie berichtet, sie hielt sogar einen TEDx-Vortrag an der Französischen Universität von Ägypten. Weltweite Bekanntheit erlangte sie durch den Dokumentarfilm The Engine Inside, der 2023 vorgestellt wurde. Darin wurde das Leben von sechs Menschen in verschiedenen Gesellschaften rund um den Globus gezeigt, die ihr Fahrrad –bewusst oder unbewusst– nutzen, um die Welt um sie herum zu verbessern.
Nourans Geschichte beschreibt ihre Erlebnisse in Kairo, einem der verkehrsreichsten Ballungsgebiete der Welt, in dem chaotische Zustände auf den Straßen allgegenwärtig sind, Fahrräder hingegen nicht. Die fehlende Infrastruktur macht es jedem schwer, mit dem Rad zu fahren, aber für Frauen ist es durch das soziale Stigma, das mit dem Radfahren verbunden ist, noch schwieriger.
Nouran wollte das nicht länger akzeptieren. Gegen den Widerstand der Konservativen begann sie, Rad zu fahren. Sehr viel. Das Selbstvertrauen, das sie dabei gewann, schlug in Initiative um. Sie gründete die Cairo Cycling Geckos, eine Grupe von Frauen, die mit demselben ruhigen, trotzigen Geist Rad fahren und regelmäßig an größeren organisierten Veranstaltungen teilnehmen. Die Zahl derer, die durch Kairos Straßen und ihre Vororte pedalierten, wuchs stetig. Was als Frage begann, wurde zu ihrer eigenen Antwort: Frauen haben das Recht, Fahrrad zu fahren, egal was die Tradition ihnen befiehlt.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Dokumentarfilms haben wir uns mit Nouran getroffen, um zu erfahren, was sich in ihrem Leben und in ihrem Land verändert hat und was nicht.
„Ich glaube an eine bessere Zukunft für die Frauen in diesem Land.“
Nouran Salah
F & A
Cannondale: Erzähl uns bitte etwas über dich.
Nouran: Ich heiße Nouran. Früher habe ich als Innenarchitektin gearbeitet, aber den Job habe ich gekündigt. Weil ich schon immer sehr viel mit Gesundheit, Fitness und Wellness zu tun hatte. In diesen Bereichen war ich auch schon länger nebenher als Trainerin tätig, weshalb ich dies nun zu meinem Vollzeitjob gemacht habe. Mit meiner eigenen Agentur namens „Flâneur Agency“ organisiere ich jetzt Yoga-Retreats und Abenteuerreisen. Außerdem habe ich die Cairo Cycling Geckos gegründet. Nun, so bin ich: Bei mir dreht sich alles um Bewegung in all ihren Formen.
C: Kannst du uns kurz erzählen, wie du zum Radfahren gekommen bist?
N: Ich bin schon als kleines Kind Rad gefahren. Meine Eltern waren sehr darauf bedacht, dass wir alle grundlegenden Sportarten kennenlernen, die uns im Leben helfen würden. Deswegen brachten sie uns das Radfahren, Schwimmen, Reiten, Schießen und so weiter bei. Wir haben viele verschiedene Sportarten gelernt, und Radfahren war eine davon. Jeden Sommer fuhren wir zum Strand, um Rad zu fahren, denn in Ägyptens Alltag war Radfahren völlig unüblich. Das ging so lange, bis ich etwa 12 oder 13 war. Aus irgendeinem Grund habe ich das Radfahren dann aufgegeben.
Als ich 19 war, bekam ich Lust aufs Reisen. Und auf Reisen in Europa begann ich wieder mit dem Radfahren. Wenn ich also ins Ausland reiste – und ich reiste sehr viel, bestimmt einmal pro Jahr – fuhr ich viel Rad und machte alle meine Touren mit dem Fahrrad. Und dann, mit 26, fragte ich mich: Warum fahre ich nur mit dem Rad, wenn ich ins Ausland reise? Warum nicht auch in Ägypten?”
Also rief ich meinen Vater an und fragte ihn: „Meinst du, es ist in Ordnung, ein Fahrrad zu kaufen und damit zu fahren? Denn ich verstehe das nicht. Niemand fährt hier Fahrrad.“
Und er sagte: „Nun ja ... die Infrastruktur ist wirklich nicht besonders gut. Es gibt keine Radwege und die Autofahrer fahren wie die Verrückten. Niemand schert sich um die Verkehrsregeln.“
Darauf sagte ich: „Papa, wenn das das Problem ist, kaufe ich mir einfach ein Fahrrad.“
Er meinte sofort: „Ja, los! Mach es!“
So ging das los bei mir mit dem Radfahren. Und seitdem habe ich nie wieder aufgehört.
„Wenn dein Geist stark ist, kannst du nach den Sternen greifen.“
Nouran Salah
C: Wie hat sich deiner Meinung nach die Einstellung gegenüber Frauen, die in Ägypten Fahrrad fahren, verändert? Gibt es da eine Entwicklung?
N:Auf jeden Fall. Ich habe meine Initiative 2016 ins Leben gerufen, als ich erkannte, dass ich eine Revolution anzetteln muss, um in diesem Land etwas zu verändern. Denn man sah nie eine Frau auf einem Fahrrad. Und ich denke schon, dass ich bis zum Äußersten gegangen bin. Ich bin selbst in Gegenden gefahren, in denen Frauen komplett verhüllt sind.
Aber irgendwann, es war 2019, fingen wir an, den Wandel zu bemerken. In allen Gegenden, in denen wir mit dem Rad unterwegs waren, und in allen Vierteln, in die wir gependelt sind, haben sich die Leute daran gewöhnt, uns auf Fahrrädern zu sehen. Es gab keine Kommentare mehr. Es gab keine Beschimpfungen mehr. Die Leute machten kein Aufsehen mehr um dich, weil du mit dem Fahrrad fährst. Niemand verhöhnte uns mehr, Sie schauten uns nicht einmal mehr hinterher. Wir wurden als ganz normale Menschen auf dem Fahrrad betrachtet. Insofern – ja, die Einstellung hat sich komplett geändert. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich [in Kairo] mit dem Fahrrad unterwegs war. Das war wie im Zirkus.
„Ich glaube, der Grund, warum ich jetzt da bin, wo ich bin, ist, dass ich beschlossen habe, nicht auf das zu hören, was die Leute sagen.“
Nouran Salah
C: Was würdest du Leuten raten, die ähnliche Aktivitäten wie du starten wollen?
N: Nicht darauf zu hören, was die Norm oder die Tradition sagt. Das ist der einzige Weg, um ungewöhnliche Aktivitäten zu starten. Ich denke, das Radfahren an sich ist überhaupt nicht ungewöhnlich, aber das Radfahren in meinem Land ist schon ziemlich ungewöhnlich. Vor allem für Frauen. Wir machen es jetzt seit 10 Jahren, aber es gibt immer noch Männer, die es nicht verstehen.
Und der einzige Grund, warum ich diese Dinge tun konnte, ist, dass ich mich nicht darum gekümmert habe, was die Anderen sagen. Als mir gesagt wurde, dass ich mein Jungfernhäutchen zerstören würde, wenn ich mit dem Rad fahre, habe ich das nicht geglaubt. Genauso war es bei allen anderen Dingen. Sie meinten: „Wenn du allein lebst, seist du eine Prostituierte?“ Und so weiter und so fort. Weißt du, wenn ich mich ständig nach der Meinung Anderer richten würde, würde ich in meinem Leben nichts erreichen. Ich glaube, der Grund, warum ich jetzt da bin, wo ich bin, ist, dass ich beschlossen habe, nicht auf das zu hören, was die Leute sagen.
C: Wie können die Menschen deine Initiative unterstützen?
N: Da gibt es ganz viele Möglichkeiten! Wir freuen uns unglaublich, wenn uns Unterstützer alte Fahrräder spenden, nagelneue Fahrräder kaufen oder unserer Initiative Geld spenden. Wir bekommen viele Spenden über Western Union aus dem Ausland von Menschen, die das Projekt bewundern, und sie unterstützen uns auch heute noch, seit acht Jahren. Die Fahrrad-Community in Ägypten wächst. Sie ist nicht groß, aber sie wächst.
C: Was planst du für die Zukunft?
N: Das weiß ich noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass mich noch viele Abenteuer, Herausforderungen und große Hindernisse erwarten.
Ich will mich für eine bessere Zukunft für Frauen einsetzen, denn ich glaube, das ist meine wahre Lebensaufgabe. Diese Welt für Frauen in jeder Hinsicht einfacher, sicherer und zugänglicher zu machen. Deshalb habe ich meine Leidenschaften – Kunst und Design – aufgegeben und mich auf Gesundheit und Wohlbefinden konzentriert.
Ich glaube, dass letztere eine große Wirkung für Frauen entfalten und ihr Selbstvertrauen stärken können. Wenn du an dich selbst glaubst, vor allem beim Radfahren oder beim Yoga – in anspruchsvollen Yogastunden, wenn du wirklich komplizierte Haltungen oder sehr schwierige Bewegungen auflockerst – hast du das Gefühl, dass du stärker wirst. Was sich auf deinen Körper auswirkt, wirkt sich auch auf deinen Geist aus. Wenn du dich körperlich stark fühlst, macht dich das auch geistig stark. Und wenn dein Geist stark ist, kannst du nach den Sternen greifen.
Ich glaube an eine bessere Zukunft für die Frauen in diesem Land. Ich werde nicht aufhören zu kämpfen. Ich werde nicht aufhören zu schreiben. Ich werde nicht aufhören, für den Wandel zu kämpfen, den ich auf dieser Welt sehen will.